Choreografie: Boris

Charmatz

infini

infini unendlich:

- ist etwas, das in Zahl und Größe unbegrenzt ist

- Tänzerinnen und Tänzer zählen seit Jahrhunderten bis vier, sechs oder acht, dann wieder von vorn; in modernen Choreografien zählen sie zuweilen komplexer, mit Zahlen wie dreizehn und fünf, die sie kombinieren; doch was passierte, wenn sie bis ins Unendliche zählten?.. was geschähe, zählten sie nicht bis zu einem Ziel, einem Ende, einem Takt, einem zyklischen Rhythmus, sondern so, wie man einschläft, wie man stirbt, wie man die Sterne anschaut, die über unseren zu hell erleuchteten Städten erloschen sind?.. welche Zahl markiert das Loslassen, den Übergang, die unendliche Metamorphose?.. die Zahl der Suche und nicht des Entscheidens?

- die Bewegung des Suchens und nicht des Entscheidens

- bestimmte Zahlen sind blutig, andere intim, wieder andere haben eine besondere Bedeutung, eine Zahl kann ein vergessenes oder legendäres Datum, ein kleines oder riesiges Maß sein … die Zahlen sind Codes und Daten geworden, die zu sammeln, aufzubewahren, zu speichern, zu verkaufen sind; in unserem Projekt bleibt man nicht stehen; man flieht, und die Zeit setzt aus; man bleibt nicht stehen, nicht 1989, nicht 2000, und auch nicht 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 usw.

- der Körper scheint „vollendet“ zu sein; dabei ist die menschliche Bewegung vor allem ein Potenzial; man weiß, wie man dieses oder jenes macht, mit diesem oder jenem Körper, ja, doch die Kraft liegt auch, und vor allem, im Nicht-Tun, die Kraft, sich bewegen zu lassen; man sieht, dass sie springen können, doch sie haben auch die Wahl, es nicht zu tun; die eigentliche Kraft besteht darin, über das (Nicht)Handeln selbst entscheiden zu können?!; sie laufen, sind aber schon auf das Ziel ausgerichtet, sind schon dort im Ziel, sind ein wenig dieser Laufgeste voraus oder hinterher; man kann das Unendliche im Vergangenen suchen, indem man endlos zurückgeht, man kann es im Zukünftigen suchen, indem man sich so weit wie möglich nach vorn projiziert, man kann auch direkt im Gegenwärtigen graben, indem man alles zwischen 0 und 1, zwischen jetzt und jetzt in Augenschein nimmt

- im Augenblick denke ich viel über Aufführungen im Freien und in öffentlichen Räumen nach … Eine der Fesseln, die mich jedoch an die Architektur der Theater binden, besteht in der Einheit von Bühne und Zuschauerraum; sie ist wie ein riesiger Kopf, mit einem Gehirn auf der einen Seite und Zunge-Mund-Kiefer-Gaumen auf der anderen. Entscheiden Sie selbst, ob der Zuschauerraum oder die Bühne das Gehirn ist, ob die Mundhöhle, die Röhren, Windungen und Bahnen, durch die alles fließt, und die gespannten Nerven die Bühne oder die Sitze im Zuschauerraum sind. Man kommt als Gruppe und ist doch allein, oft im Dunkeln. Man ist in seinen Gedanken und in den Gedanken der anderen, die entweder spielen und tanzen oder gleich neben einem sitzen. Für mich ist das Grenzenlose genau dieser abstrakte Kopf. In der Mathematik gibt es die unendlichen Werte, es gibt das Himmelszelt, es gibt den in der (sogenannten) Natur verlorenen Menschen – man kann bestimmt auch im Schlaf oder in den Liebesbeziehungen eine Art Unendlichkeit finden, wenn man danach sucht; es ist jedoch, als ob all diese Begriffe des Grenzenlosen für den Menschen ein Mittel wären, unsere begrenzte Auffassung von der Welt herauszufordern. Das Unendliche wäre eine nicht abgesegnete Art, an das zu rühren, was über uns hinausgeht; das Theater gehört zu den Denkorten, die diesen Spagat ermöglichen

- ich habe es immer gehasst, beim Tanzen zu zählen; ich habe mein Gehirn immer lieber fantasieren lassen; in diesem Stück zählen, sprechen, singen und tanzen wir, aber nur, um besser zu fantasieren

- kein Abschluss, Opulenz ohne Ende

Konzeptionelle Notizen – Boris Charmatz, Januar 2018

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Choreografie-Assistenz

Magali Caillet Gajan

Licht

Yves Godin

Kostüme

Jean-Paul Lespagnard

Stellvertretende Leitung

Hélène Joly

Ton

Olivier Renouf

Vokaltraining

Dalila Khatir

Inspizienz

Fabrice Le Fur

Leitung der Produktion

Lucas Chardon

Martina Hochmuth

Produktionsbeauftragte

Jessica Crasnier

Briac Geffrault

Interpretation

Ein Stück mit fünf oder sechs Tänzer*innen.

Produktion und Vertrieb

Terrain

Musik

Wolfgang Mitterer, Run; CD Erwan Keravec, Sonneurs – Buda Musique 860299 // Alvin Lucier, Ever present; CD Alvin Lucier, Ever present – mode records, mode 178 // Olivier Renouf, inFreqini233

Musikalische Inspiration

Space Oddity von David Bowie // Eins, zwei, drei, ..., deutscher Abzählreim in Bezug zur Ordnungspolizei (1936–1945) // Einstein on the Beach von Philip Glass // Les Indes Galantes von Jean-Philippe Rameau // Leck mich im Arsch von Wolfgang Amadeus Mozart // King Arthur von Henry Purcell // Chandelier von Sia

Uraufführung

11. Jul 2019, Athens Epidaurus Festival

Dauer

70min

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Koproduktion: Musée de la danse / CCN de Rennes et de Bretagne, Charleroi danse (Belgien), Sadler’s Wells (London), Festival d’Automne à Paris, Théâtre de la Ville (Paris), Athens Epidaurus Festival (Griechenland), Théâtre Nanterre-Amandiers – Centre Dramatique National, PACT Zollverein Essen, Théâtre National de Bretagne, Festival Montpellier Danse 2019 – Künstlerresidenz in Agora, cité internationale de la danse, mit Unterstützung von der Fondation BNP Paribas, Bonlieu – Scène nationale Annecy, Kampnagel Hamburg, Zürcher Theater Spektakel (Zürich)

 

Mit der Unterstützung der Fondation d’entreprise Hermès im Rahmen des Programms New Settings

 

Mit Dank an: Amélie-Anne Chapelain, Raphaëlle Delaunay, Sidonie Duret, Esther Ferrer, Bryana Fritz, Alexis Hedouin, Sandra Neuveut, and the students of the Certificat Danse et pratiques chorégraphiques de Charleroi Danse (Belgien)

Gastspiele

  • Montpellier

    2019

  • Athen

    2019