Notizen zur Choreografie
Man (das unpersönliche Pronomen) anstelle von wir sagen.
Man verfügt über eine gewisse hermetische Anspannung, vergleichbar mit Starre.
Man betrachtet einen großen Theatersaal. Man beschließt, nicht alle verfügbaren Mittel einzusetzen, indem man leere Zonen einrichtet und das Licht abdunkelt. Man wiederholt das Experiment bis zum Überdruss, um Leerstellen in die Aufführung einzubauen und das Stück unbemerkt in zwei unterschiedliche „Stränge“ zu unterteilen. (Obwohl diese beiden „Stränge“ ständig unterbrochen werden, laufen sie bis zum Ende durch.)
Man verlässt das Rampenlicht und seine Anforderung (über die Rampe zu gehen), um die Realität von Körpern zu testen, die auf Distanz gehalten werden. Bei gleicher Gelegenheit versucht man, den Status des Bühnentänzers zu entkräften, indem man die perspektivische Achse nutzt. Anstatt aus der Gruppe einen einheitlichen Körper zu gestalten, setzt man die großen Mittel ein: Vernebelung, Vertuschung, Überlappung, Verdeckung, Distanz, Heterogenität der anwesenden Parteien.
Ab diesem Zeitpunkt unterscheidet man nicht mehr richtig.
Es stellen sich jedoch weniger Probleme der Sichtbarkeit als vielmehr Fragen der Verkörperung.
Oder anders gesagt: Es geht um Verkörperung. Die Entscheidung, zu verwirren, auf Distanz zu halten, immer wieder zu unterbrechen, könnte eine Strategie sein, die darauf abzielt, sich von der üblichen Wahrnehmung der Körperinszenierungen zu entfernen. Völlig unklar ist dabei die Handhabung der Präsenz. Völlig unklar ist der Körper, wenn man nicht mehr richtig weiß, welches „Eigene“ seine Bedeutung abdeckt; es ist die in Mitleidenschaft gezogene Präsenz.
Eine Trilogie verliert an Klarheit: Körper, Präsenz, Stimme.
Nach der Frage, ob es beim Tanz wirklich um den Körper geht (mehr als in jedem anderen Tätigkeitsbereich, als ob der Körper beim Schreiben oder Denken verschwindet), könnte man auch die gemeinsamen Orte der Stimme als Einzigartigkeit, als vollkommene Projektion jedes Individuums und Bestätigung einer absoluten Präsenz hinterfragen: die Präsenz-des-Körpers-in-der-Stimme.
Angesichts dieser totalen Stimme werden zwei gegensätzliche Untersuchungen angeboten: Einerseits vollzieht sich auf der Grundlage eines Textes von John Giorno eine Verflachung, eine Entrealisierung oder, um es klar zu sagen, eine Entkörperlichung ihrer Präsenz (auch wenn Giorno seine Sprache mit Fleisch und körperlichen Einschüben „spickt“). Andererseits wird eine Form der quasi zufälligen Verzweigung getestet, indem man die getanzte Energie auf der Suche nach einer „Körperlichkeit“ der Stimme für einen Moment in unsere Stimmorgane überträgt.
Ein Text von einem Körper, der nicht mehr getragen wird, und von wortlosen Stimmen, die nur den Körper durchsuchen: Heterogenität des Oralen zwischen „entterritorialisierten Fleischblöcken“ und Verunsicherung einer Sexualität der Sprache, die keine Verkörperung findet.
Eingeklemmt zwischen John Giorno und der Musik von Otomo Yoshihide sucht sich der Tanz noch anderswo seine Motive. Dimitri Chamblas, Boris Charmatz, Julia Cima, Myriam Lebreton, Vincent Dupont, Nuno Bizarro und Catherine Legrand wünschen sich gegenseitig viel Mut.
Boris Charmatz, Frühjahr 1999
Koproduktion: Le Quartz – Centre national dramatique et chorégraphique de Brest (Künstlerresidenz), La Filature – Scène nationale de Mulhouse, Festival d’Automne à Paris, Luzerntanz – Luzern, Kaaitheater – Bruxelles.
Mit Dank an: Hervé Binet, Théâtre de la Cité Internationale; La Ferme du Buisson – Scène Nationale de Marne-la-Vallée